Drei Stadtverordnete 1933
Sie bewahrten 1933 die Ehre der Teupitzer Stadtverordneten
geschrieben anlässlich des 80. Jahrestages des Beginns der Naziherrschaft in der Stadt; Lothar Tyb’l, Teupitzchronist, 30. Januar 2013
Arthur Beyer, h. R. r. , Schneidermeister (1872-1947)
Paul Koch, Landwirt, SPD (1900-1980)
Otto Hofmann, Landwirt (1896-1945)
Im der märkischen Kleinstadt Teupitz wurde die NSDAP-Ortsgruppe erst im Frühjahr 1931 gebildet. Während der Weimarer Republik waren hier mehrheitlich deutsch-nationale, konservative Kreise dominant, Kommunisten hatten nur kurzzeitig einen Stadtverordneten; die Sozialdemokraten waren einflussreicher, aber nicht stark genug, die Kommunalpolitik zu bestimmen.
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und Hindenburgs Notverordnung „zur Abwehr kommunistischer, staatsgefährdender Gewaltakte“ vom 28. Februar 1933, einen Tag nach dem von den Nazis inszenierten Reichstagsbrand, sowie dem ‚Ermächtigungsgesetz‘ vom 23. März änderte sich das politische Klima der Kleinstadt sehr rasch. Die anwachsende Ortsgruppe der NSDAP gliederte sich in vier Zellen: West, Ost, Anstalt und Pflegerdorf und in kurzer Folge entstanden die Ortsgruppen der SA, der NS-Frauenschaft, der HJ und der NS- Beamten- Arbeitsgemeinschaft.
Den Wendepunkt brachten die Kommunalwahlen am 12. März 1933 und die Wochen danach. Bereits am 8. März hatten die regionalen SA- und SS-Stürme die Hakenkreuzfahne am Rathaus gehisst, die schwarz-rot-goldene Fahne aus dem Amt geholt und auf der Straße verbrannt. Gleichzeitig hissten die Deutschnationalen die schwarz-weiß-rote Flagge, noch immer der Illusion ergeben, mit an der Macht bleiben zu können, eine Illusion, die schon nach drei Monaten mit der Selbstauflösung der Deutsch-Nationalen wie eine Seifenblase platzte.
Bei den Wahlen am 12. März wurden 730 Stimmen abgegeben und das neue Stadtparlament setzte sich aus 5 nationalsozialistischen, 5 ‚national-bürgerlichen‘ und 4 sozialdemokratischen Stadtverordneten zusammen. Ähnlich wie bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag am 5. März verfehlte die NSDAP die absolute Mehrheit.
Die folgenden Wochen waren national und lokal von einem beispiellosen politischen Druck der Nazis und von einer Welle offenen Terrors ihrer SA- und SS-Stürme gekennzeichnet, um ihre alleinige Macht durchzusetzen. Am 19. März wurde das Sommerhaus der KPD in der Buchholzer Straße beschlagnahmt. Am 22. März fand anlässlich der Eröffnung des Reichstages in der Potsdamer Garnisonskirche eine riesige Jubelfeier in der Stadt statt und der ev. Stadtpfarrer pries es als „Gottesschickung“, dass „der greise Reichspräsident vereinigt mit dem jungen Reichskanzler die deutsche Nation gerettet hat vor Untergang und Glaubenszerstörung“. Die NSDAP- und SA-Ortsgruppe unterstützten aktiv den allgemeinen Judenboykott am 1. April und überwachten, wer von den Teupitzern bei den Warenhausautos von Karstadt und Wertheim einkaufte. Vertreter der Ärzteschaft aus der Landesanstalt und Stadt referierten öffentlich für die NS-Rassenpolitik.
Am 13. April tagte die Stadtverordnetensitzung zum ersten Mal nach der Kommunalwahl. Von den 14 Abgeordneten trugen fünf machtbewusst das„braune Ehrenkleid“und unter den Gästen hatte „ein Trupp unserer strammen SA“Aufstellung genommen, schrieb der „Märker“. Der hatte sich nach eigenen Worten inzwischen von einem schlichten Heimatblatt „zur Trompete der Nazi-Bewegung“ gemausert. Trotz dieser Machtgebärden wurde nicht der NS- Kandidat, sondern ein ‚National-Bürgerlicher‘ mit 9 gegen 4 Stimmen zum Stadtverord-netenvorsteher gewählt. Die Nazi-Fraktion legte sofort Protest ein, forderte eine Neuwahl und schäumte vor Wut, als „drei Marxisten“, wie sie die sozialdemokratischen Abgeordneten der Republikanischen Liste, Arthur Beyer, Otto Hofmann und Paul Koch nannten, zum Sitzungsende das Deutschlandlied nicht mitsangen und sich beim Horst-Wessel-Lied demonstrativ niedersetzten. Im „Märker“ drohten die Nazis am nächsten Tag. „Die Marxisten und ihre Verbündeten…mögen frohlocken. Aber der deutsche Frühling kommt auch zu uns.“
Einen Monat später, am 11. Mai 1933, musste die Wahl des Stadtverordneten-Vorstehers wegen des Protestes der Nazis wiederholt werden. Die Wahlvorbereitung war von rigorosem Vorgehen gegen die Nazigegner gekennzeichnet, die ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Am 20. April fand eine pompöse Geburtstagsfeier zu Ehren Hitlers im Hotel „Schloss am Teupitzsee“ statt und der 1. Mai wurde als „Tag der nationalen Arbeit“ mit einem Meer von Nazifahnen auf dem Markt begangen. Am 10. Mai erfolgten Hausdurchsuchungen der SA bei den Sozialdemokraten und alle SPD-Unterlagen wurden beschlagnahmt.
Die Neuwahl wurde nach den Forderungen derNazis nicht geheim, sondern auf Zuruf vorgenommen und ihr Kandidat erneut zum Vorsteher der Stadtverordneten vorgeschlagen. Mit den Stimmen der Nazis und der ‚National-Bürgerlichen‘, die unter dem Druck der Nazis kapitulierten, wurde er nunmehr mehrheitlich gewählt. Die drei SPD-Abgeordneten Beyer, Hofmann und Koch enthielten sich der Stimme – in dieser Situation ein Zeichen großen politischen Mutes und klarer Sicht, was die Naziherrschaft bedeuten würde. Auf Antrag der NS-Fraktion wurden alle drei Stadtverordneten für sieben Sitzungen, also etwa für ein halbes Jahr, von den Sitzungen ausgeschlossen und mussten sofort das Rathaus verlassen.
Aus dem halben Jahr wurden 12 Jahre, da nach dem KPD-Verbot am 8. März auch die SPD am 22. Juni und am 14. Juli 1933 alle anderen Parteien verboten wurden, sofern sie sich nicht schon selbst aufgelöst hatten. Die NSDAP konnte ihre Alleinherrschaft in der Stadt bis zum 27. April 1945 ausüben, dem Tag der Besetzung und Befreiung von Teupitz durch die Rote Armee im Gefolge der „Halber Kesselschlacht“.
Die bis heute in Teupitz nicht erfolgte Ehrung der drei SPD- Abgeordneten offenbart historisches Unverständnis für den Inhalt und die Größe ihres Tuns. Während die bürgerlichen Abgeordneten vor dem Druck der Nazis kapitulierten, der Stadtpfarrer Rothe, der Kantor Hermann Figula, der Stadtarzt Dr. Kurt Sachse, der Schlossherr Gerhart Drabsch, der Schulleiter Erich Beske der Leiter der Landesklinik Dr. Großmann, der Verleger des „Märker“ Franz Spielmann und mit ihnen die Mehrheit der Teupitzer den Nazis nachliefen und auf ihre Seite wechselten, sangen Arthur Beyer, Paul Koch und Otto Hofmann das Deutschlandlied zum Abschluss der ersten Vorstandswahlen nicht mit, setzten sich beim Horst-Wessel-Lied demonstrativ hin und verweigerten bei der zweiten und offenen Abstim-mung zur Wahl des Stadtverordnetenvorsteher dem Nazi ihre Stimme. Dieser Haltung blieben sie treu; sie kostete ihnen nicht nur sofort ihr demokratisch errungenes Mandat, sondern gefährdete in dieser aufgeheizten Phase der nationalsozialistischen Machtergreifung ihr Leben.
Als Teupitzchronist habe ich mich besonders mit der Biographie Paul Kochs beschäftigt und schätze ihn wegen seines politischen Mutes, unter allen Umständen seinen eigenen Überzeugungen treu zu bleiben. 1945 stellte sich der SPD-Mann an die Seite des Antifaschisten Hans Sußmann und des sowjetischen Stadtkommandanten, doch 1950 trat er wegen diktatorischer Tendenzen aus der SED aus; er zögerte als Kleinbauer lange mit dem Eintritt in die LPG, wurde dann aber einer ihrer engagierten Vorsitzenden. Mit dem Kommunisten Hans Sußmann führte er lange Debatten um den Inhalt dessen Teupitzchronik, unterstützte ihn aber aktiv, diese zu vollenden und zu veröffentlichen. Er – und ebenso seine zwei SPD-Genossen – verdient es, als Ehrenbürger der Stadt gewürdigt zu werden.
Anmerkungen: Otto Hofmann kam 1945 bei der Besetzung der Stadt ums Leben, nach mündlichen Aussagen von Teupitzern bei einem Gerangel mit sowjetischen Soldaten, die seine Pferde beschlagnahmen wollten. Das Foto übersandte der in Herne lebende Urenkel Frank Hofmann. Arthur Beyer und Paul Koch traten für die Vereinigung der Ortsgruppen der SPD und KPD ein und wurden aktive Mitglieder der SED. Arthur Beyer verstarb 1947. Sein Foto ist Teil eines Gruppenbildes des Stadtverordnetenkollegiums von 1925-29, das Knut Koppel zur Verfügung stellte. Paul Koch wirkte nach 1945 als Stadtrat, trat 1950 aus der SED aus und wurde 1962 Vorsitzender der LPG. Das Passfoto übergab die Tochter Anneliese Gunder. Der Artikel beruht auf der Arbeit des Autors „Nazis und Entnazifizierung in Teupitz.“